Dr. Purrucker & Partner - Ihre Kanzlei aus Reinbek

Schleswig-Holsteinische Strukturreform an den Gerichten – Sparen am Rechtsstaat?

Ein Kommentar zu einem Thema, dass nicht nur für die Anwaltschaft weitreichende Auswirkungen hat, sondern auch für die Beschäftigten an den Gerichten und alle Beteiligten, wie die Rechtssuchenden selbst.    

Reform“ - Dieser Begriff suggeriert mir eine positive und fortschrittliche Weiterentwicklung. Im politischen Wortschatz steht dieser Begriff aber leider allzu oft für Einsparungen. Einsparungen zum Nachteil aller Betroffenen. Die geplante Fachgerichtsjustizreform ist ein Paradebeispiel dafür: Ende September wurde bekannt, dass in Schleswig-Holstein sämtliche Arbeits- und Sozialgerichte geschlossen und an einem zentralen Fachgerichtszentrum zusammengeführt werden sollen. Geplant ist diese Maßnahme bereits für 2026/2027. Die Schließung zahlreicher Amtsgerichte soll geprüft werden und aller Voraussicht nachfolgen.

Die Entscheidung wurde ohne Beteiligung der Betroffenen in der Justiz und der Anwaltschaft getroffen. Dies hat alle in einen Schockzustand versetzt. Ein konkreter Umsetzungsplan besteht nicht. Sämtliche Interessenvertretungen laufen Sturm.

Wegsparen des Rechtsstaates

Die zuständige Justizministerin, Prof. Dr. Kerstin von der Decken, sagt dazu in einer Rede vor dem Landtag am 27.09.2024: „Gespart wird nicht bei Menschen, sondern bei Gebäuden“. Die Maßnahme sei alternativlos, so die Ministerin.

Ist das wirklich so? Gibt es keine Alternative zum Wegsparen des Rechtsstaates und wird nur bei Gebäuden gespart? Gerade letzte Aussage ist derart plakativ und falsch, dass ein Einfühlungsvermögen in die Ängste und Sorgen der Betroffenen nicht erkennbar ist.

Massive Auswirkungen auf Beschäftigte, Rechtssuchende und Anwaltschaft

Eine Umsetzung dieser Reform bedeutet, dass zukünftig sämtliche Beschäftigten von den bisherigen Gerichts- bzw. Wohnorten zum neuen Fachgerichtszentrum pendeln müssen. Hier kommen schnell 150-200 km pro Beschäftigten pro Tag zusammen. Viele werden das weder finanziell noch zeitlich leisten können und von sich aus kündigen. Dies wird zu einem beispiellosen Mangel an Beschäftigten am neuen Standort führen. Zynisch betrachtet könnte der damit verbundene Abbau von Personalkosten aber ein gewollter Nebeneffekt sein. Wie passt dies zu der Aussage der Ministerin „Gespart wird nicht bei den Menschen“ und wie soll die Justiz unter diesen Bedingungen noch ihrem grundrechtlich verankerten Auftrag eines effektiven Rechtsschutzes nachkommen?

Es ist auch nicht erkennbar, wie die angeblichen Einsparungen berechnet wurden, wenn noch nicht einmal feststeht, wo das neue Fachgerichtszentrum stehen soll, also auch die Höhe der notwendigen Investitionen in Umbau, Umzug und technische Infrastruktur ungewiss sind. Wurde die Doppelbelastung sich zeitlich überschneidender Mietverträge berücksichtigt? Und gibt es überhaupt einen geeigneten Standort in entsprechender Größe. Wurde dazu eine Machbarkeitsstudie durchgeführt?

Eines ist sicher, die individuellen Kosten und Belastungen der Betroffenen für Fahrtkosten, Umzugskosten, Kinderbetreuungskosten für erhöhten Zeitaufwand, Anschaffung eines Fahrzeuges etc. wurden sicher nicht ausreichend berücksichtigt. Einen Teil dieser Kosten wird aber das Land erstatten müssen.  

Aber nicht nur die Beschäftigten der Gerichte sind betroffen. Auch Rechtssuchende, also die Parteien des Rechtsstreites, und die Anwaltschaft werden weite Wege in Kauf nehmen müssen. Auch die damit verbundenen Kosten sind erheblich.

Es bleiben riesige Fragezeichen hinter allem. Ein Großteil der Gesamtkosten dürfte wohl nicht wegfallen, sondern nur in anderer Form entstehen. Ist es zu rechtfertigen, dass der Staat Mietkosten zulasten der individuellen zeitlichen, sozialen und finanziellen Mehrbelastung der Betroffenen spart?

Strukturreform der Fachgerichte ohne Plan und Kommunikation

Für mich klingt die geplante Maßnahme nach einer Panikreaktion auf eine offensichtlich desolate Haushaltslage. Anders ist es für mich nicht erklärbar, eine solch drastische Maßnahmen ohne konkreten Umsetzungsplan und mit einer katastrophalen Kommunikation den Betroffenen gegenüber völlig übereilt zu beschließen.

Der damit verbundene gesamtwirtschaftliche Schaden, aber auch der soziale Schaden ist untragbar.

Rechtsprechung lebt außerdem auch von zwischenmenschlichen Aspekten. Gerade im Arbeitsrecht geht es meist nicht darum, ein Urteil zu erwirken, sondern eine Einigung zu finden. Ein gesichtsloses Fachgerichtszentrum mit Verfahren im Massenbetrieb wird dem sicher nicht gerecht.

Mit der geplanten Fachgerichtsstrukturreform bleibt nicht nur der Rechtsstaat, sondern auch das Zwischenmenschliche und Soziale auf der Strecke.

chevron-down